22.06.2014

Von „Südlich von Kandalaksha“ bis „So weit wir kommen – St. Petersburg wär‘ toll“

 

Mindestens eine hat es doch geschafft – das perfide Surren dringt spätestens dann ins Bewusstsein, als sich das „Ich muss dringend mal raus“-Gefühl nicht mehr schlafend ignorieren lässt. Aber draußen hängen sie, an den Netzen und Fenstern und warten. Aber es hilft ja nix …

Ein paar der anderen Jungs sind auch schon wach. Wir machen Kaffee, während die andern ordentlich auftischen. Aber zu mehr als einem löslichen Kaffee reicht unsere Leidensfähigkeit in der Mückenwolke nicht – auch wenn das 2013er-Bodensee-Mückenmittel zu helfen scheint, zumindest direkt nach dem Auftragen. Das Starten des Motors bringt den jungen Mann in Uniform wieder zum Vorschein (sehr viele Männer tragen hier ihre Militäruniform im zivilen Leben, sie ist vermutlich robust und „geschenkt“). Der Schlagbaum geht wieder auf – die $100 reichen offenbar für uns mit.

 

Pisten endlos durch die Wälder - als Baustelle oder als "normale" Straße - mehr als diese Trasse ist nicht

Pisten endlos durch die Wälder – als Baustelle oder als “normale” Straße – mehr als diese Trasse ist nicht

Unsere selbst erdachte „Challenge of the day“: St. Petersburg erreichen! Ein ambitioniertes Ziel, keine Frage. Es sind noch deutlich über 1000 km. Und die M 18 hat … sagen wir mal „verschiedene Gesichter“. Zunächst tanken – gestern meinte einer: „Könnt‘ auch an der Tankentlüftung liegen …“,  dass das Benzin viel langsamer ins Auto läuft. Da könnt‘ er sicher Recht haben, aber klären konnten wir das im Wald auch nicht.

Anfangs läuft es gut. Aber ein 70er-Schnitt ist das Maximum. Dann kommen erste Baustellen. Über deren „Sicherung“, Ausdehnung und Durchführung könnten wir Seiten füllen. Nur so viel: Bernds gereifte russische Fahrleistungen reichen dafür nicht – aber das gilt für alle, die da unterwegs sind. Stephan ist sicher, dass er die „Mutter aller Schlaglöcher“ gesehen hat. Und wenn eine Baustelle ca. 30 km unbefestigter Holperpiste zwischen Baufahrzeugen und Arbeitern hindurch nötig macht, dann ist St. Petersburg ganz, ganz weit. Um 10.25 Uhr (= 12.25 Uhr) sind es noch 888 km. Immerhin: Irgendwann endet auch die längste Baustelle.

Und wir haben Zeit, uns darüber auszutauschen, was die Verhältnisse hier vermutlich mit den Menschen machen … von den Schnaken mal ganz abgesehen.

 

Sie kann auch mal ausgebaut sein

Sie kann auch mal ausgebaut sein

Diese M18 (E105) von Murmansk nach St. Petersburg ist im Grunde genommen eine einzige lange Schneise durch den Wald, gerne kilometerlang einfach geradeaus. Selten nur wird der Wald unterbrochen durch etwas Sumpfgebiet oder einen See. Je nach Ausbauphase der Straße stehen die Bäume näher am Straßenrand oder die Schneise ist etwas breiter … und wie ich das schreibe wird der Blick plötzlich weit (weil wir uns der Stadt Petrozavodsk nähern) – das erste Mal seit gefühlten 2000 und tatsächlichen rund 800 km (hat sich dann aber auch schnell wieder geändert)!

Interessant sind die wirklich vielen Kreuzungen, die es gibt – weil die meisten Straßen, die nach rechts und links abgehen direkt nach 30 Metern im Schlamm enden (gerne auch als „Müllsammelstelle“ zweckentfremdet). Bernd meint: „Wer weiß, wofür man die mal noch braucht …“. Eine Alternative zu dieser insgesamt gut ausgebauten Straße gibt es für uns aber nicht. Die Wege, die abgehen, führen nur nach Westen oder Osten und im Hinterland weist unsere Karte keine Straßen gen Süden aus. Die M18 ist ganz offensichtlich die Lebensader dieses Teils von Russland.

 

Südlich des Polarkreises wird es wieder wärmer. Die an der Tanke annoncierten 22° C hat es aber nicht, auch wenn der eine oder andere Trucker mit kurzen Hosen und Flipflops den Anschein erweckt. Vermutlich fühlt es sich für die Menschen hier schon so an.

Petrosavodsk ist die „Zielvorgabe“ der morgigen Etappe. Wir lassen es links liegen, weil wir ja St. Petersburg sehen wollen und unser beider Fantasie reicht nicht aus, um uns Petrosavodsk als sehenswerte Stadt vorzustellen. Russland ist ein enorm großes Land, wir „sehen“ nur einen ganz kleinen Teil. Was für eine Herausforderung, allein die Verkehrswege zu erhalten oder gar auszubauen. Von der Aufgabe, zerfallende Gebäude zu renovieren oder zu ersetzen, müssen wir da noch gar nicht reden. Dass auch der Sonntag hier ein normaler Arbeitstag ist (zumindest auf den Straßen-Baustellen), löst dieses Problem sicher nicht. Aber wie schon erwähnt: Bernd erkennt Fortschritte im Land.

Apropos Bernd und Baustelle: Baustellen kommen nur, wenn Bernd am Steuer sitzt … und immer wieder eine …

 

Unser Fronti gibt uns etwas zu denken. Dass es an der Tankentlüftung ein Problem gibt, wissen wir … seit dem letzten Tankstopp zickt die Tankanzeige: Eigentlich müsste „voll“ gewesen sein und wir mindestens wieder 500 km weit fahren können. Aber es bleibt doch ein ungutes Gefühl, weil wir gerade in der Frage gerne Verlässlichkeit hätten. Weiter beobachten!

Könnte aber auch sein, dass die getankten 50 l den Tank einfach nicht ganz gefüllt haben und der Sprit – obwohl es voll aussah – sich nach unten geschüttelt hat.

 

Kloster bei Lodeynoye Pole

Kloster bei Lodeynoye Pole

Wir haben neben einem Kloster in der Nähe von Lodeynoye Pole Quartier genommen. Nennt sich Hotel (www.stsloboda.ru) , sieht aber aus wie eine zum Kloster gehörende Anlage – passenderweise wies uns auch ein orthodoxer Priester den Weg zum „Hotel? Motel?“ Zum Glück sind die Worte offenbar dieselben. Ansonsten können wir halt nix lesen und verstehen. Aber Bernd hat alles bestens geregelt. Laut seinem Freund „Sascha from Russia“ spricht er Russisch „wie ein dreijähriges Kind“. Immerhin: Stephans Russisch gleicht dem eines ungeborenen Kindes. Bestimmt hat Bernd heute zehn Mal vorgesagt, was „Guten Tag“ und was „Danke“ heißt.

 

Wir sind müde von einem langen Tag, der uns 887 km gen Süden gebracht hat. Essen werden wir auf dem Zimmer: Brot und Dosenwurst. Irgendetwas irgendwo noch pantomimisch zu bestellen, fühlt sich beim bloßen Gedanken schon stressig an.

Das Hotel für heute Nacht

Das Hotel für heute Nacht

Unser Rückblick auf die bisherigen Russlanderfahrungen und die unendliche Schneise fällt gemischt aus. Die Grenze zu erleben, durchs Land zu fahren ist eine besondere Erfahrung. Aber dann langt es auch und bei einem nächsten Mal wäre dann (aber eben: wäre!) eine Strecke durch Finnland unsere Wahl …

… aber St. Petersburg steht uns ja noch bevor!