Wer gestern unsere Route verfolgt hat, wird bemerkt haben, dass wir anscheinend Luftlinie ein Gebirge überquert haben … dem ist natürlich nicht so. Unser „Tracker“, der die GPS-Signale weitergibt, litt an akuter Batterieschwäche und möglicherweise waren dann die Signale zu schwach, um durch die dichten Wolken zu dringen. Wir sind natürlich brav der Straße gefolgt, die entlang des Fjords führt.
Als wir gestern Abend in Sorkjosen, einem kleinen Vorort von Storslett angehalten haben, riefen ein paar jugendliche Schulkinder „Guten Tag“ über die Straße und wir kamen in ein kurzes Gespräch – vor allem in Englisch, weil sie erst seit einem Jahr Deutsch in der Schule lernen. Den Tag über sind wir wieder an Schildern vorüber gefahren, die an die Narvik-Schlacht 1940 erinnern … ist es nicht erstaunlich, dass wir jetzt von jungen Norwegern mit „guten Tag“ gegrüßt werden und die Kinder und Jugendlichen Deutsch lernen? Erstaunlich und zugleich auch ein Grund für Zuversicht …
Zweite Beobachtung: Bernd überlegt beim Frühstück, „zur Sicherheit ein Brot mehr zu essen als nötig“. Und wir bemerken: Anders als in unserem üblichen Alltag, wissen wir hier erst am Abend, was wirklich notwendig ist oder gewesen wäre.
Dritte Beobachtung: So schlecht, wie heute Morgen, war das Wetter noch an keinem Morgen – es schüttet und windet ordentlich. Dabei wollen wir natürlich das Nordkapp in der Sonne sehen – denn heute ist „der große Tag“, an dem wir den nördlichsten Punkt der Rallye erreichen. Dann geht es wieder „ab in den Süden“, keine schlechte Aussicht angesichts des „Schietwetters“ (wie die neben uns frühstückenden Oldenburger sagen).
An diesem Morgen stehen viele Rallyefahrzeuge vor „festen Behausungen“ – auch Teams im campingtauglichen VW-Bus kapitulieren vor den arktischen Temperaturen. Und das Tanken verursacht derart zapfenkalte Finger, wie wir es sonst nur vom Skifahren her kennen.
„Task of the day“ ist „A globe and your rallye vehicle in one picture“, denn am Nordkapp steht ein symbolisierter Globus. Allerdings ist es wohl verboten, direkt dort vorzufahren (für schwäbische und schottische Teilnehmer weist das Roadbook eigens darauf hin, dass es ein kostspieliges Vergnügen ist, sich darüber hinweg zu setzen. Immerhin: Im „Reisafjord Hotell“ gibt es keinen Globus, aber einen findigen jungen Mann, der sofort auf die Idee kam, er könnte uns aber einen „globe“ ausdrucken, was er dann auch sofort tat. Insofern sind wir für die Tagesaufgabe gut gerüstet (und entsprechend gelassen).
Unsere Rentierherden-Strichliste steht 170 km vor dem Nordkapp bei fünf (Tendenz deutlich steigend) – und zwar frei lebende Rentiere (also die auf den Schlldern – für Rentiere gibt es eigene Schilder mit anders gestaltetem Geweih). Und wir haben außerdem im Museum in Alta Tiere, Schiffe, Bären, Fische gesehen: Jahrtausendealte Felszeichnungen (UNESCO Weltkulturerbe), die zum Teil mit ungeschultem Auge kaum zu erkennen sind. Einige sind deswegen rot retuschiert und wirken dadurch gleich viel lebendiger.
Nach dem kulturellen Intermezzo geht es weiter gen Norden. Unterwegs treffen wir – kaum verwunderlich – etliche andere Teams, denn es gibt mit der E6 eigentlich nur eine Straße dorthin. Für die mühsame Tour entlang der westlichen Küste ist das Wetter zu schlecht – wenn es zeitweise auch trocken ist. Auf der höher gelegenen Ebene pfeift der Wind so stark, dass es fast schon zu den Türen herein zieht und wir fast rufen müssen, wenn wir uns verständigen wollen – und mancher Motorradfahrer hat auf gerader Strecke ordentliche Schräglage (übrigens gibt es immer wieder Leute, die hier mit Rad und Gepäck unterwegs sind).
Bernd fährt zügig nach Norden. Gerüchteweise ist es dort oben eher unwirtlich und wir denken darüber nach, nicht dort zu übernachten und bald auch wieder „runter“ zu fahren – weil es außer dem genannten Globus und Kälte vielleiht gar nicht viel gibt.
Wir haben in den letzten Tagen gespürt, dass die Kombination aus Wind, Regen und Kälte deutlich an den Kräften zehrt und mit der Zeit wohl eher müde und mürbe macht. Und wir wissen, dass noch eine weite Strecke vor uns liegt, auf der wir einigermaßen bei Kräften sein müssen (Stichwort: Russland). Bisher sind mir mit Englisch sehr gut zurechtgekommen. Aber es ist absehbar, dass diese Zeit zu Ende geht. Möglicherweise reicht es noch durch Finnland, denn übermorgen geht die Route in Richtung Kandalaschka und die Tagesaufgabe steht in Murmansk an. Da hilft unser Englisch dann nur noch, um das Roadbook zu lesen.
Unsere Stimmung ist gut. Wir harmonieren als Team (Stephan etwa als „Surehand“ beim Tanken, Bernd kümmert sich alter Väter Sitte um die WOLKE) und unterwegs ist Zeit zu reden … und vermutlich ist es ein noch besseres Zeichen, wenn es auch möglich ist, gewisse Zeiten nicht zu reden, sondern den eigenen Gedanken nachhängen zu können.
Kurz vor 13 Uhr spickelt die Sonne für kurze Zeit heraus. Schön. Auch wenn es (zunächst?) nur ein kurzer Moment bleibt.
Am Nordkap treffen wir um 14:50 Uhr ein. Wir haben Null Sicht. Vom Globe findet man fast nicht mehr zum 50 m entfernten Besucherzentrum zurück.
Natürlich treffen wir auch andere Teams und es gibt bei fast allen nur noch eine Parole: „Schnell weg hier gen Süden!“. Daher peilen manche für heute noch Finnland an – wir auch!
Schnell noch Fotos (incl. „Task of the day“) machen und dann los. Mal sehen wo wir heute Abend stoppen – es wird ja nicht Nacht.
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