[10:30] Die letzte Etappe am Montag sollte längstens bis zum Sonnenuntergang dauern: Bei Dunkelheit wollten wir nicht fahren. Wir ließen Umea aber rechts liegen und orientierten uns eher nordwestlich – und stellten unterwegs fest: der im Roadbook für Umea auf 23.12 Uhr prognostizierte Sonnenuntergang fand so gar nicht statt! Wir wussten natürlich, wir würden irgendwann so weit im Norden sein, dass es nicht mehr dunkel wird. Es dann aber tatsächlich zu erleben ist noch einmal etwas ganz Spezielles (auch wenn jemand – wie Stephan – vage Erinnerungen aus der Jugendzeit an eine Freizeit im Norden Finnlands hat).

Nur unter verschäfrten Sicherheitsbedingungen zu öffnen: Eine Dose „Surströmming“.

Nur unter verschäfrten Sicherheitsbedingungen zu öffnen: Eine Dose „Surströmming“. Foto: Stephan Sigloch

So fuhren wir bis Lycksele. Unterwegs hatten wir den Eindruck: Schweden besteht weit überwiegend aus Wäldern. Und wo kein Wald ist, dort wirken Land und Landschaft manchmal wie das modellierte Gelände einer Modelleisenbahn: Kleine Seen, ein paar farbige Häuschen, wie hingewürfelt, eine Kirche auf einem Hügel … ganz idyllisch, bis das nächste Waldgebiet beginnt, das ab und zu von großen gerodeten Flächen unterbrochen wird. Die Holzwirtschaft ist sicherlich ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor.

Die zweite Beobachtung: Der „Fronti“ ist auf den hiesigen Straßen ein prima Fahrzeug! Bodenwellen und unebene Straßen meistert er bestens dank Radstand und Bodenfreiheit. Allerdings: Die Zapfsäulen hier im schwedischen Norden und der Tankstutzen des „Fronti“ sind keine Freunde. „Kurz mal tanken“ ist ein frommer, bleibt aber ein unerfüllter Wunsch: Tanken ist eine langwierige Prozedur, bei der wir gefühlt tropfenweise den Sprit in den Tank rinnen lassen müssen, weil der Zapfhahn immer wieder automatisch abschält und dabei kann einem, im Wind und bei sinkenden Temperaturen, ziemlich frisch werden.

Bei Lycksele haben wir an einem See übernachtet, zwischen ein paar Hütten. Zwar ist Lycksele das Zentrum der ganzen Region und ein vergleichsweise großer Ort, aber irgendwie doch eine Gegend, in der Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen. Wobei „Gute Nacht“ aber nicht passt, weil es eben überhaupt nicht Nacht wird. Und wir haben zwar einen Fuchs an unserem Schlafplatz vorbeitrippeln sehen – aber er hatte offenbar Mühe, den Hasen zu finden. Da ging es ihm wie uns: Dieser Fuchs war das einzige Tier, dessen wir bisher ansichtig geworden sind auf über 1000 km durch den Wald.

Am Morgen gings zeitig weiter. Dummerwiese öffnen Cafés in der Regel erst um 10 Uhr – ungeachtet dessen, dass immer Tag ist. In Arvidsjaur fanden wir eine rühmliche Ausnahme: Das Café von Amanda. Es war gut beheizt, was angesichts von ca. 3-4°C (bei leichtem Schneefall) hilfreich war. Außerdem tauschte Amanda unsere dänische Bierdose in ein Päckchen Tee, der uns nun nach Norwegen begleiten wird, damit wir ihn dort wieder weiter tauschen.

Beim Kilometerstand von 211 800 nahmen wir den „task of the day“ in Angriff: Eine Dose „Surströmming“ ist 200 km im Auto zu transportieren. Surströmming ist eine schwedische Delikatesse: Fisch, der (in Salmiak oä.) eingelegt ist und in der Dose „reift“. Von Freunden mit IMG_8994 (640×427)mehrjähriger Schwedenerfahrung vorgewarnt, hatten wir bereits Plastikhandschuhe an einer „Tanke“ gebunkert – aber in der Aufregung des großen Moments zunächst vergessen. Bernd, einer neuen „challenge“ selten abgeneigt, stach zuversichtlich mit dem Taschenmesser-Dosenöffner zu – und provozierte eine Fontäne fies stinkender Flüssigkeit aus der Dose, die uns direkt wieder an die Handschuhe erinnerte: Ein unfassbarer Geruch! Das Foto der geöffneten Dose vor dem Tacho haben wir unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen gemacht und die Dose dann möglichst luftdicht ein- und hinten ins Auto gepackt. Ein Tropfen im “Flauschteppich“ des Kofferraums würde unseren Boliden sicherlich für den Rest der Reise kontaminieren.

Wir haben uns entschlossen, nicht nach Kiruna zu fahren – das Roadbook behauptet, die Stadt bilde einen absoluten Kontrast zur Schönheit der Natur in dieser Gegend und wir interpretieren den Satz so, dass es eine grottenhässliche Stadt sein wird. Darum fahren wir heute auf der 95 (weiter südlich zur ursprünglich geplanten Route) in Richtung Norwegen. Heute können wir zusehen, dass wir schon mal den Lofoten näher kommen: Unsere Tagesaufgabe reist einfach mit (die müssen wir allerdings bei Tachostand 212 000 km nochmals fotografieren!). Und draußen ist das Wetter kalt, grau und regnerisch – und ringsum ohnehin immer noch fast nur Wald.

[11:58] Pünktlich nach 200 km fährt Bernd rechts ran. Er hat die Kilometer runter gezählt – weil klar ist: Stephan muss den Surströmming auspacken. Auf der CD, die Bert uns mitgegeben hat, lief vorher noch „Heroes“ von David Bowie. Das ist gut, denn nun heißt es, stark zu sein.

Dieses Mal zuerst die Handschuhe. Und alle Utensilien bereit stellen. Der Geruch … nein: der Gestank ist barbarisch. Vorsichtig auspacken. Natürlich hat die Brühe in die Tüte gesuppt. Vorsichtig das Foto als Beweis mit dem neuen Kilometerstand.

Dann aber die eigentliche „challenge“. Weil es ein „once in a lifetime“-Moment ist, will Stephan die Delikatesse verkosten. Mutig beißt er ab und es schmeckt unglaublich … scheußlich. Zugegeben nicht so schlimm, wie es stinkt, aber immer noch schlimm genug. Keine Chance, das Stück runter zu schlucken. Auch der bereits bereit gestellte Ouzo neutralisiert den Geschmack nicht völlig (ein kleines Aufstoßen macht später auch den Effekt zweier „Fishermans“ gleich wieder zunichte). Bernd lästert, es sei wohl gut, dass wir erst in zwei Wochen unsere Frauen wieder treffen, vorher sei an einen Kuss nun nicht mehr zu denken.

Als wir weiterfahren verdichtet sich der Eindruck, dass die Handschuhe der Sache nicht gewachsen waren. Die Hände stinken trotzdem. Eines scheint sicher: Das Wort „kontaminiert“ muss ein schwedischer Ausdruck sein, der im Zusammenhang mit Surströmming erfunden wurde: Die Surströmming-Brühe ist sozusagen „die Mutter aller Kontaminationen“. Aber: Geschafft! Die Aufgabe des Tages heldenhaft und mit delikater Zugabe gemeistert!!! Bernd verleiht Stephan gönnerhaft den Titel „hero oft he day“. Das ist eine Art Ritterschlag!

[13:15] Norwegen. Direkt nach der Grenze geht es wieder dauerhaft bergab. Grenzkontrolle gibt es keine, das heißt: Wir haben die Mission „Be(er) Aware“ erfolgreich gemeistert: Jedes Team hat am Start in Hamburg eine Kiste Bier bekommen, die wir ungeöffnet zur Party auf den Lofoten mitbringen sollen, die also unter Umständen verzollt werden müsste, je nachdem, wie viele alkoholische Getränke sonst noch an Bord sind. Wir wären sicherlich gut durch gekommen, aber ohne ein Zoll-Prozedere ging es natürlich leichter.

Tagesaufgabe: Einen Polizisten tragen.

Tagesaufgabe: Einen Polizisten tragen. Foto: Stephan Sigloch

Der strenge Geruch von Surströmming hängt noch im Auto und auch die Hände lassen sich nicht wirklich reinwaschen … aber unser Hochgefühl angesichts der gemeisterten Aufgabe hält an und wurde gleich beim ersten Halt in „Norge“ noch gesteigert: Wir haben die Aufgabe erledigt, ein Foto zu machen, auf dem eines der Teammitglieder einen Polizisten trägt … die Kollegen des Polizisten hatten auch ihren Spaß und wir können eine weitere Aufgabe auf der Habenseite unseres Punktekontos verbuchen. Nun ist als nächstes Narvik unser Ziel – und wir fahren vorgewarnt durch einen der freundlichen Polizisten, dass das Wetter auf den Lofoten schlecht und es dort richtig kalt ist. Möglicherweise müssen wir in Narvik doch noch unser Gepäck um lange Unterhosen ergänzen.