25.06.2014

 

Je nachdem, an welcher Zeit wir uns orientieren, sind wir heute einigermaßen früh oder sehr früh aufgestanden. Überraschenderweise berief Bernd sich heute auf dem Weg zum Frühstück aber dann doch auf die Ortszeit 8:20 Uhr – bisher war die MESZ die für uns maßgebliche Zeit.

 

Gestern Abend trafen sich im Beachclub Dunes on Ligovsky relativ viele Teams. Zunächst natürlich, um die Tagesaufgabe zu lösen – dann aber auch, um noch miteinander etwas zu trinken und sich über die zurückliegenden Erfahrungen und die nächsten Abschnitte und Erwartungen auszutauschen. Ein paar jüngere Männer, die wir in Stockholm schon mal getroffen hatten, reisen irgendwie ganz anders als wir: Sie erzählten, dass sie in Murmansk nette Menschen getroffen und gut gegessen haben, und dass die Stadt sie fast schon begeistert hat. Möglicherweise haben sie Russisch gelernt oder sind pantomimisch besser als wir … auf jeden Fall interessant, andere Stimmen und Geschichten zu hören.

 

Die erste spannende Frage dreht sich um den Weg aus St. Petersburg. Um 7:00 Uhr (MESZ) fahren wir aus der Garage. Draußen ist die ruhigere Phase zwischen Berufs- und Einkaufsverkehr und wir kommen gut durch – als wir uns quasi schon „draußen“ wähnen, macht die Straße allerdings einen völlig unerwarteten Knick … wo sind wir jetzt? Wir folgen dem Gefühl für Himmelsrichtungen und nach anderthalb Stunden wissen wir, wo wir und dass wir richtig sind: Die Straße führt an der Küste entlang in Richtung Estland durch eine Gegend, in der viele der Stadtpalast-Besitzer früherer Jahrhunderte offenbar auch noch das eine oder andere Schlösschen unterhielten, um die Sommerfrische zu genießen oder der Jagd zu frönen.

Um sicher nicht unversehens auf einer Autobahn zu landen, entscheiden wir, der Küstenstraße zu folgen. Kaum steht dieser Entschluss fest, bringt uns die unmissverständliche Stock-Bewegung einer Soldatin an einer Kontrolle zum Stehen: „Militärisches Sperrgebiet“ – wir verstehen ihren Kollegen auch ohne der russischen Sprache mächtig zu sein und drehen um. Viele Schilder haben wir nicht gesehen, darum entscheiden wir uns an der nächsten Abzweigung für eine Straße, die nach Süden führen könnte, bis wir auf die Straße treffen, die nach Ivangorod, dem russischen Grenzposten weiter geht. Und tatsächlich: Irgendwann entziffern wir die entsprechenden kyrillischen Buchstaben, noch ehe wir am Schild vorbei sind. Nach 4 Tagen haben wir’s nun doch schon deutlich besser raus – aber in Ivangorod ist keines der Zeichen enthalten, die uns immer noch ratlos machen.

 

Gespannt  sind wir dann auf den nächsten Tankstopp: Läuft der Sprit wieder normal in den Tank? Kurze Antwort: Nein! „Next day same shit“, warum auch immer … Bernd überzeugt sich eigenhändig. Als er die ersten 10 l drin hat, nähert sich ein freundlicher, hilfsbereiter  Mann, der unsere Muttersprache deutlich besser konnte, als wir die seine (er hat 5 Jahre in Magdeburg gearbeitet). Ganz offensichtlich ist er zunächst der Ansicht, dass wir beide wohl einfach zu doof zum Tanken sind und da will er doch gerne helfen. Freundlicherweise ist er höflich genug, seinen Hilfeversuch nicht zu beenden, als er merkt, dass es nicht an uns liegt. Er tankt mit der gebotenen Andacht und Konzentration  die ganzen restlichen 35 l in den „Fronti“, während wir eher unnütz herum stehen.

 

Schließlich Ivangorod. Grenze zwischen Russland und Estland. Die Uhr am Armatrurenbrett zeigt „10:45“. Bernds Tipp: eine Stunde wird es vermutlich dauern, bis wir in Estland sind. Nach den ersten 10 Minuten geht es weiter zu der Station, wo die eigentlichen Kontrollen stattfinden. Dort stehen wir dann sehr lange und werden aus der Ferne „zeugen“, wie lange es dauern kann, bis ein paar Boote auf einem Anhänger ordnungsgemäß durch den Zoll gebracht sind. Es kann sehr lange dauern. Irgendwann legen wir eine Gedenkminute ein und erinnern schweigend und dankbar den großen Tag, an dem der damalige Bundeskanzler Kohl  zusammen mit anderen Regierungschefs das Schengen-Abkommen unterzeichnet hat, das uns seitdem sehr viel Zeit an irgendwelchen Grenzen gespart hat („Danke, Helmut!“).

Für Grenzkontrollen gilt aber dasselbe wie für russische Endlosbaustellen: Sie enden irgendwann doch noch und um 12:30 Uhr fahren wir nach Estland ein und sind zurück in der EU!
Es dauert ein paar Minuten und Kilometer, bis wir tatsächlich auf der Straße nach Tallinn sind und feststellen können, dass es hier anders aussieht. Ein gelbes Rapsfeld, eine große Rinderherde, landwirtschaftlich genutzte Flächen fallen uns zuallererst auf.

 

Teppe

Das große Tepee

Eine eigene Aufgabe hat dieser Tag nicht – außer der einen, den Ort vor Tallinn zu finden, an dem sich heute Abend noch einmal alle Teams zu einer Party treffen können – letzter gemeinsamer Punkt vor dem Ziel in Hamburg. Und dann ein Foto vom Fronti vor dem größten Teepee … das kriegen wir hin.

Das Finden ist dann allerdings nicht ganz sooo einfach. Die grobe Richtung gibt das Roadbook vor. Aber in dem Maßstab, den wir brauchen, gibt es vermutlich keine Karte: Wir reden von Feldwegen und noch schmaleren Pfaden. Dennoch: Irgendwann steht an einem Baum das Schild, das uns einen Weg nach „Raudsilla“ weist und wir kommen auf ein Gelände im Wald, auf dem ein paar alte Gebäude und ein riesiges „Zelt“ stehen. Auf den ersten Blick wirken die Gebäude wie eine Art Freilandmuseum.

Raudsilla

Lager in Raudsilla

Wir suchen uns einen Parkplatz an einem der Häuser, dann können wir unsere Plane nach hinten abspannen. Falls es doch noch den täglichen Regenguss gibt, wird es dann jedenfalls nicht in unser Schlafgemach regnen. Falls der Regen wider Erwarten ausbleibt, wird die Plane trocknen – seit Hov, da waren wir vor einer Woche, liegt sie nass unten im Auto.

Etliche Teams sind schon da – andere kommen an. Die Jungs, mit denen wir vor vier Tagen im Wald gecampt und unsere Holzscheite verbrannt haben, laden uns zu einem Bier ein und wir erzählen einander, was seitdem passiert und wie es allen ergangen ist. Wir merken, dass die „gemeinsamen“ Rallye-Erfahrungen uns verbinden und die Stimmung ist ausgesprochen herzlich.

 

So freuen wir uns auf einen guten Abend miteinander, bevor dann ab morgen alle wieder ihre eigenen Strecke suchen – nach Hamburg, wo wir am Sonntag über die Ziellinie fahren werden. Zumindest ist das der Plan und wir vertrauen darauf, dass es so kommen wird.